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Der Druck auf Körperideale durch Medien und soziale Medien

Der Druck auf Körperideale durch Medien und Social Media

Online kriege ich oft gesagt, dass ich superselbstbewusst wirke, weil ich gelegentlich oberkörperfreie Bilder poste. Mein Kumpel nennt mich gerne „Spiegelaffe“, wenn ich mich beim Training abchecke…

Und ja – ich würde auch sagen, dass ich ein bisschen eitel bin.

Ich gehe seit fast zwei Jahren regelmäßig pumpen und es gibt Tage, an denen ich mich einfach gut fühle.

Leider ist das aber nur die halbe Wahrheit, denn es gibt mindestens genauso viele Tage, an denen ich z. B. Instagram verfluche, weil das Fazit, das ich nach dem Schließen der App ziehe, lautet: „Jeder Typ dort ist krasser in Form als Du“.

Und das, obwohl mein blödes Gehirn, das ich sonst sehr wertschätze, es eigentlich besser wissen sollte: Ich bin jetzt 29 und arbeite seit ca. 6 Jahren im Social-Media-Bereich: Ich WEIẞ, wie solche Fotos entstehen, ich WEIẞ, wie Instagram funktioniert und wie viele Faktoren dazu beitragen, ein „perfektes“ Bild zu erstellen.

Auf meinem MacBook ist jeder Ordner, in dem Bilder nach einem Shooting gespeichert werden, wie folgt aufgebaut: Im Oberorder landen erstmal ALLE Fotos, die natürlich schon in optimaler Beleuchtung und schmeichelhaftem Winkel geschossen wurden.

Wenn ich 100 gemacht habe, schaffen es ca. 20 von ihnen in den nachfolgenden „JA“-Ordner. Das letzte Level, das ein Bild erreichen kann – den VIP-Bereich sozusagen – nennt sich der „Bearbeitet-Ordner“. Hier werden von den 20 ausgesiebten Bewerbern fünf durch Filter und Photoshop aufpoliert, sodass sie irgendwann „Instagram ready“ sind.

Tja – und der Joke dabei ist, dass ich mich am Ende trotz all dieser zeitaufwändigen Schritte nur für zwei Bilder entscheide, die ich tatsächlich poste.

Von 100 auf zwei. Super, oder?

An sich ist das überhaupt nicht schlimm, denn tolle Bilder zu schießen und in der Nachbearbeitung das Maximum aus ihnen herauszuholen, ist ein cooles Handwerk. ABER es ist eben wichtig, zu verstehen, dass es kein direktes Abbild der Realität darstellt, sondern eher ein gezielt manipuliertes und nach Wünschen verzerrtes.

YouTuber Kostas Kind zeigt, wie er seine Bilder nachbearbeitet

So – und obwohl ich diesen Vorgang gerade en Detail erklärt habe, falle ich selbst immer wieder auf den Schall und Rauch rein, den ich online sehe. Grottesk, oder?

Versteht mich nicht falsch: Viele von denen sind sicher auch ohne Nachbearbeitung fitter als ich, aber die Unzufriedenheit über die eigenen Erfolge ist teilweise schon unverhältnismäßig. Vor allem, weil sie den hässlichen Beigeschmack von „Erst, wenn Du genauso aussiehst wie die, bist Du gut!“ mit sich trägt.

YouTuber Kostas Kind zeigt seine Trainingsfortschritte

Was daraus resultiert, ist, dass ich das Gefühl bekomme, ich müsse ebenfalls Bilder hochladen, die diesem Standard entsprechen, was natürlich nicht stimmt: Jede:r kann hochladen, was er/sie will. Aber auf einer Plattform, die so oberflächlich ist, voll von „perfektem“ Aussehen und Kommentaren darüber, ist es gar nicht so einfach, sich davon zu lösen.

Wie zu krass bearbeitete Bilder unsere Selbstwahrnehmung verzerren

Wie man bei den Bildern oben sehen kann, ging die Nachbearbeitung bei mir bisher nie über das Verfeinern der Haut oder das Aufhellen meiner Highlights hinaus. Und ich denke, dass das auch gut ist: Je mehr und je häufiger man seinen Körper verformt, desto vertrauter wird man mit dem künstlich erschaffenen Spiegelbild. Schon bei den kleinen Touch-Ups, die ich mache, denke ich mir oft, wenn ich das fertige mit dem Ausgangsbild vergleiche: „Uff, ich sehe ganz schön fertig aus.“ Das ist, als würde man gezielt nach Unsicherheiten suchen und diese fleißig heranzüchten.

Da in vielen Apps oder Handykameras mittlerweile schon Filter integriert sind, die man live beim Fotoschießen aktivieren kann, passiert es fast automatisch, dass man sich an den „aufgehübschten“ Anblick seiner Selbst gewöhnt. „Leider“ – wobei „leider“ hier debattierbar ist – wird die Konfrontation mit der Realität nicht ausbleiben und (gegebenenfalls) mit Frust einhergehen.

Wie überbearbeitete Bilder in den sozialen Medien unsere Selbstwahrnehmung verzerren

Ich hab’ zu diesem Thema letztes Jahr im Rahmen eines Videos mit einer Fotografin und einem Plus Size Model zusammengearbeitet, die mir zwei interessante Einblicke und Tipps gaben:

Die Fotografin erzählte mir, dass sie ab einem bestimmen Punkt für sich beschloss, keine gravierenden Änderungen mehr an den Fotos von Kund:innen vorzunehmen. Als Reaktion darauf erntete sie nicht selten Tränenausbrüche und massive Unzufriedenheit, weil sich gerade junge Mädchen darüber beklagten, wie sehr sich die professionellen Fotos von den Selfies auf Instagram unterschieden. Das Plus Size Model gab den Zuschauer:innen des Videos im Bezug auf Social Media den Tipp, ihre Feeds mittels ihrer Abonnent:innenliste diverser zu gestalten. Regelmäßig verschiedenste Körpertypen zu sehen, helfe dabei, den Druck, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen, zu lindern.

Ein weiterer Tipp wäre, den Blick häufiger weg von Social Media und rein ins reale Leben zu richten. Dort werden nämlich zwei Dinge relativ schnell deutlich und zwar, wie Menschen in Wirklichkeit aussehen und dass das nur ein ganz kleiner Teil davon ist, was uns ausmacht und wofür wir Anerkennung ernten.

Die Macht der Repräsentation in den Medien

Ich glaube, dass Schönheitsideale in einer Wechselwirkung funktionieren: Wir lernen das, was wir viel sehen, schön zu finden, und was wir schön finden, wollen wir viel sehen.

Daraus ließe sich ableiten, dass Schönheitsideale auch eine Sache der Gewohnheit, temporär und vor allem beeinflussbar sind. Wenn Protagonist:innen in den Medien häufig dieselben Merkmale mitbringen, lernen wir, das für erstrebenswert zu halten.

Das Gleiche funktioniert übrigens auch umgekehrt: 2016 waren mein Freund und ich zu einem Event von Netflix in Los Angeles eingeladen und lernten dort zwei YouTuber:innen aus Frankreich kennen. Die eine war riesiger „Harry Potter“-Fan und produzierte auf ihren Plattformen vor allem „Plus Size Content“. In einem späteren Gespräch sagte sie: „Gibt es in Harry Potter überhaupt eine COOLE dicke Figur? In der Serie wird Mehrgewicht fast nur mit miesem Charakter oder Dummheit verbunden“ (Dudley, Onkel Vernon, Crab & Goyle, Magda Dursley).

Ich bin ehrlich: Ich habe mir darüber vorher nie Gedanken gemacht, weil es mich einfach nicht betroffen hat, aber ich finde, dass diese persönliche Geschichte ein exzellentes Beispiel dafür ist, warum Repräsentation so wichtig ist.

Die verrückte Entwicklung von Schönheitsidealen

Nun ist es fast schon erstaunlich, dass Mehrgewicht hier so negativ konnotiert wird, wo es doch vor gar nicht allzu langer Zeit mal richtig sexy war:

Im späten 19. Jahrhundert gab es in den USA bspw. den „Fat Men’s Club“, in den nur Männer eintreten durften, die mindestens 200 Pfund (ca. 91 kg) wogen, weil eine üppigere Figur Wohlstand repräsentierte.

Um 1960 wurden dann dünne, fast schmächtige Rockstars mit langen Haaren – die zu meiner Schulzeit wohl als „Lauch“ betitelt worden wären – zum erstrebenswerten Körperbild und erst mit Beginn der 80er Jahre rückte das hypermaskuline Muskelpaket ins Rampenlicht.

Da fragt man sich schon ein bisschen: „Ja, was denn nun? Entscheidet euch mal!“

Sich zu schminken, macht einen Mann nicht unmännlicher!

Ein persönliches Beispiel, an dem ich gemerkt habe, wie sehr das Schönheitsempfinden durch Sehgewohnheiten beeinflusst wird, waren für mich Jungs, die krasses Augen Make-Up tragen. Als ich „Boys in Make-Up“ auf YouTube entdeckte, wusste ich nicht so recht, wie ich das einordnen soll:

„Find’ ich das hässlich oder einfach nur ungewohnt?“

YouTuber Kostas Kind im Make-up

Aber, als ich irgendwann gefühlt jedes Video eines unfassbar talentierten Künstlers gesehen hatte, empfand ich es als supercool.

So cool, dass ich mir letztens, als ich auf einer Party unterwegs war, von einer Freundin passend zum Dresscode die Augen schminken ließ und mich dabei richtig fühlte.

Ich denke, dass hier gesellschaftlicher Druck sowie toxische Vorstellungen davon, wie Männer gebaut sein müssen, was sie tragen „dürfen“ und was nicht, auf jeden Fall auch eine entscheidende Rolle spielen.

Was mich betrifft, kann ich aber selbstbewusst sagen, dass ich mir – zumindest, was Letzteres angeht – in der Regel wenig Gedanken mache. Das habe ich größtenteils der Auseinandersetzung mit meiner Sexualität und der Frage „Was bedeutet überhaupt Männlichkeit?“, die damit einherging, zu verdanken. Wer hätte gedacht, dass diese furchtbar anstrengende Zeit doch zu was gut sein würde.

Was ich trage oder wie ich mich style, hat keinen Einfluss auf meine Männlichkeit.

Meine Männlichkeit ist eine Sache, der ich mir so sicher bin und die mir zeitgleich so egal ist, dass sie in meinen Augen unangreifbar ist.

Gillette hat dem Thema „Was bedeutet Männlichkeit?“ in der Vergangenheit übrigens eine Kampagne unter dem Title „Das beste im Mann“ gewidmet, bei der das moderne Männerbild herausgearbeitet wird.

Love your body today

Jungs in Make-up & toxische Männlichkeit

Zum Abschluss möchte ich gerne noch einen Satz mit euch teilen, den ich kürzlich von meiner Lieblings-TV-Jurorin aus den USA aufgeschnappt habe.

Sie hat nämlich eine Doku veröffentlicht, die sie beim Entfernen ihrer Brustimplantate begleitet.

„Love your body today, because tomorrow may never come!“ (Dt: „Liebe Deinen Körper heute, denn ob morgen kommt, weiß keiner.“)

Das klingt wie ein elender Kalenderspruch, aber wenn wir ehrlich sind, stimmt er auch ein bisschen:

Wenn Du heute stirbst und morgen nicht mehr erlebst, hat Dein Körper es dann verdient, jetzt gehasst zu werden?

Irgendwie ging mir das nicht aus dem Kopf.

Es ist (leider) für die meisten ganz normal, sich aufgrund von Schönheitsidealen oder des ständigen „Vergleichens“ unter Druck zu setzen, und ich glaube, das kann man auch nicht so leicht abstellen. Aber so eine Grundakzeptanz, vielleicht sogar eine Grund-Dankbarkeit dafür, was uns dieser Körper ermöglicht, lässt uns im besten Fall ein bisschen nachsichtiger mit ihm sein.

Besonders, wenn man im Hinterkopf behält, wie krass unbeständig Schönheitsideale sind.

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Kostas Kind

Kostas Kind

Hey hey :) Ich heiße Kostas, bin 29, hauptberuflich YouTuber und lebe zusammen mit meinem Freund und meiner weißen Schäferhündin Ivy, die ich über alles liebe, in Potsdam. Auf meinem Kanal „Kostas Kind“, der zu den größten deutschen LGBTQ+ Kanälen zählt, nehme ich meine Zuschauer:innen mit auf eine Reise durch den schwulen Alltag, setze mich mit herausfordernden Themen wie Mental Health oder Veganismus auseinander und versuche, solche Themen auf unterhaltsame Art zu präsentieren, um sie leichter zugänglich zu machen und sie von Vorurteilen oder Scham zu befreien.