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Wie man mit Depressionen umgeht und sie bekämpft

Depressionen bekämpfen: wie offene Gespräche mir geholfen haben

Jedes Jahr machen Männer auf der ganzen Welt den November zum Movember und lassen sich ihren Oberlippenbart (den Mo, oder Moustache) stehen. Sie machen das nicht zum Spaß oder weil sie cool aussehen wollen, sondern um auf ein Thema aufmerksam zu machen, das in der Öffentlichkeit sonst nicht sehr präsent ist: Männergesundheit. Die weltweit größte Charity für das Thema – die Movember Foundation – will damit häufig zu spät erkannte Krankheiten wie beispielsweise Prostata- oder Hodenkrebs, aber auch mentale Erkrankungen bei Männern bekämpfen. Diese Krankheiten werden von Männern oft verschwiegen, verdrängt oder verschleppt – was alles nur noch schlimmer macht. Gerade deshalb ist es so wichtig, offen darüber zu sprechen. So wie Christian.

Christian ist 31 Jahre alt, wohnt in einer großen Stadt, hat – wie er selbst sagt – einen engen Freundeskreis und arbeitet in seinem Traumjob. Man könnte meinen, er stehe mitten im Leben und besser könnte es nicht laufen, doch in ihm drin sieht es ganz anders aus.

Christian, machst Du diesen November auch zum Movember?

Jedenfalls nicht, in dem ich mir einen Schnauzer wachsen lasse.

Warum nicht?

Weil das bei mir nicht funktioniert. Ich würde gern, aber das sieht bei mir nicht so imposant aus wie bei Anderen. Aber ich denke schon, dass ich den November zum Movember mache, zum Beispiel, indem ich hier jetzt mit Dir spreche.

Ich habe Dich als Menschen vorgestellt, dem es von außen betrachtet an nichts fehlt. Aber in Dir drin sieht es anders aus. Inwiefern?

Für mich ist es immer noch schwer, das in Worte zu fassen. Ich beschreibe das immer so, dass es mir extrem schwergefallen ist, mich aufzuraffen, um bestimmte Sachen zu machen. Wenn ich nach der Arbeit nach Hause gekommen bin, habe ich mich aufs Sofa gesetzt und wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich am Liebsten gar nicht mehr aufgestanden. Ich hatte nie das Bedürfnis, etwas zu erleben, rauszugehen, Freunde zu treffen oder so. Meine Freunde mussten mich im Prinzip jedes Mal überreden, etwas mit ihnen zu machen. Und meistens war ich dann schlecht drauf und habe mir Gründe ausgedacht, warum ich früher gehen muss.

Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit, schlechte Stimmung – das klingt ein bisschen nach den Symptomen einer Depression…

Ja stimmt, aber ich war nicht beim Arzt oder so, deshalb bin ich mit solchen Begriffen vorsichtig. Aber ich denke schon, dass es in diese Richtung ging.

Symptome einer Depression

Kannst Du mir sagen, wann das angefangen hat und wann es Dir das erste Mal bewusst wurde?

Wann es angefangen hat, weiß ich gar nicht genau. Wahrscheinlich nach dem Studium, als ich aus der WG in meine erste eigene Wohnung gezogen bin. Zumindest wurde es da schlimmer. Da war ich nicht mehr ständig von Menschen umgeben und konnte mich mehr abkapseln.

Wie hat sich der erste Lockdown auf Dich ausgewirkt?

Auch wenn das brutal klingt, der Lockdown war für mich erst mal super. Ich hatte endlich einen Grund, alleine zu sein und musste oder durfte das Haus nicht verlassen. Ich war im Home Office und „Freunde treffen“ per Whats App war mir sowieso schon immer viel lieber.

Hast Du damals schon erkannt, dass das eigentlich ein Problem ist?

Nein überhaupt nicht. Ich war da so drin und mit mir selbst beschäftigt, dass ich das gar nicht objektiv betrachten konnte. Meine Freunde und Familie habe ich ja auch nicht gesehen, deshalb sind bei denen auch keine Alarmglocken losgegangen.

Und trotzdem hast Du es inzwischen als Problem identifiziert. Wie kam es dazu?

Ein paar Monate, nachdem wir ins Home Office geschickt wurden, hat mein Arbeitgeber eine Umfrage unter den Angestellten gemacht. Er wollte herausfinden, wie sich das Arbeiten zu Hause auf unsere Leistung auswirkt, aber da waren auch Fragen zur mentalen Gesundheit dabei. Bei einigen Fragen davon, zum Beispiel zur Antriebslosigkeit, Lethargie und so, habe ich mich wieder erkannt und mir ist zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, dass das nicht normal ist und ich mich davon irgendwie befreien muss.

Wie hast Du das gemacht?

Den Fragebogen habe ich auf jeden Fall nicht abgeschickt.

Warum?

Ich wollte nicht, dass mein Arbeitgeber das liest. Das war zwar anonym. Aber trotzdem. Am Anfang habe ich versucht, das selbst zu machen. Ich habe mich extra mit Leuten getroffen. Mit Freunden, Familie, Kollegen von der Arbeit. War viel draußen, beim Sport und so. Aber das war extrem anstrengend und hat mich nur noch müder gemacht. Als Nächstes habe ich dann mit meinen besten Freunden darüber gesprochen.

Wie war das für Dich?

In dem Moment natürlich extrem unangenehm. Wir hatten zwar schon immer ein ziemlich gutes Verhältnis und haben offen über Stress in der Arbeit, Probleme in der Beziehung und so gesprochen. Aber mit diesen psychischen Dingen herauszurücken, war dann doch was anderes. Aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe. Alleine schon darüber zu sprechen, hat mir geholfen, mit der ganzen Sache besser zurechtzukommen und sie nehmen jetzt mehr Rücksicht auf mich. Ich glaube, ich habe einen Weg für mich gefunden, der funktioniert. Das ist zumindest das Feedback, das ich von meiner Familie und meinen Freunden bekomme, deshalb habe ich auch noch keine professionelle Hilfe gesucht.

Möglichkeiten, einen depressiven Freund zu unterstützen

Du sagst, dass Deine Freunde jetzt Rücksicht auf Dich nehmen. Wie meinst Du das?

Ich muss mir keine blöden oder lustig gemeinten Sprüche anhören, wenn es mir zu viel wird. Sie sind viel sensibler geworden. Sie wollen zwar jetzt erst recht, dass ich mit dabei bin, wenn sie sich treffen und wollen oft auch nur mit mir etwas machen, aber sie haben inzwischen ein Gespür dafür, wenn es mir zu viel wird und ich Zeit für mich brauche. Ich muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mich aus einem Gespräch mal eine Weile ausklinke oder früher nach Hause gehe. Und wir sprechen viel öfter darüber, wie es mir geht und wie es ihnen geht und wir versuchen herauszufinden, woran es liegt, wenn es uns nicht so gut geht.

Das klingt fast so, als ob es auch für Deine Freunde gut ist, dass ihr offen miteinander sprechen könnt.

Stimmt, es hat uns auf jeden Fall noch näher zusammengebracht. Und ich bin ja auch nicht der einzige mit Problemen. Ich glaube auch für die anderen ist es jetzt leichter, mit unangenehmen Sachen rauszurücken und das macht es für mich auch viel einfacher, mich weiter zu öffnen. Am Anfang ging es ja vor allem um meine Probleme.

Inwiefern haben die Gespräche denn geholfen? Einfach nur, weil Du darüber gesprochen hast und Dir das Problem von der Seele reden konntest? Oder habt ihr konkret an Lösungen gearbeitet?

Alleine darüber zu sprechen hat extrem geholfen. Du kennst das bestimmt: Du hast im Kopf irgendeine Idee, aber erst wenn Du sie zu Papier bringst, wird sie konkret und Du kannst damit arbeiten. Ich habe durch den Fragebogen auf der Arbeit gemerkt, dass etwas nicht stimmt und ich hatte eine ungefähre Vorstellung, was es sein könnte, aber erst als ich darüber gesprochen habe, ist mir das alles so richtig klar geworden. Wir haben viele Situationen aus der Vergangenheit gefunden, in denen ich mich seltsam verhalten habe, und klar haben wir Lösungen gesucht.

Wie sehen diese Lösungen aus?

Wie gesagt, sie nehmen mehr Rücksicht, aber fordern gleichzeitig ein, dass ich offen und ehrlich zu ihnen bin. Ich verstelle mich nicht, suche keine Ausreden und mache nicht mehr auf heile Welt, wenn es mir zu viel wird. Sie wissen nun, was sich in mir abspielt und können dadurch die Anzeichen besser erkennen und sprechen offen an, wenn sie glauben, dass sich bei mir etwas verändert hat. Und ich musste ihnen versprechen, dass ich mir Hilfe suche, wenn das alles nichts hilft.

Jetzt stehen wir wieder vor erheblichen Einschränkungen. Home Office gilt auch fast überall wieder. Wie gehst Du damit um und hast Du darüber auch schon mit Deinen Freunden gesprochen?

Ja ich habe gestern per Facetime mit ein paar Freunden gesprochen. Wir müssen alle ins Home Office und bei ihnen ist die Angst da, dass es sich bei mir wieder so entwickelt wie letztes Jahr. Es ist schon krass, das so von seinen Freunden zu hören aber ich bin froh, dass sie das gesagt haben. Für mich ist das nämlich gar nicht so. Ich bin auf jeden Fall weiter im Kopf, als letztes Jahr. Ich freue mich nicht auf den Lockdown. Ist ja sowieso kein richtiger, es gibt ja keine Kontaktbeschränkungen, Restaurants haben offen und für mich gibt es schlimmeres als geschlossene Weihnachtsmärkte. Ich bin da relativ gelassen, ich will ja selbst nicht, dass das wieder passiert und ich weiß, dass ich mich auf meine Familie und meine Freunde verlassen kann. Sie haben jetzt im letzten Jahr mitbekommen, wie sich das bei mir entwickelt und sie werden sofort Alarm schlagen, wenn sie etwas merken. Da bin ich mir sicher.

Was denkst Du wäre passiert, wenn Du Dich Deinen Freunden nicht anvertraut hättest?

Darüber will ich gar nicht nachdenken! Alleine hätte ich das auf jeden Fall nicht geschafft. Früher oder später hätte ich bestimmt professionelle Hilfe gebraucht. Deshalb bin ich extrem froh, dass ich damals mit ihnen darüber gesprochen habe. Und dass ich das Problem selbst erkannt habe.

Christian, vielen Dank, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Sie zeigt ganz deutlich, warum der Aktionsmonat Movember so wichtig ist. Männergesundheit darf kein Tabu bleiben, Gespräche darüber sollten eine Selbstverständlichkeit werden, denn sie helfen Männern wie Christian dabei, Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Je früher sie erkannt werden, desto wirkungsvoller kann man dagegen vorgehen und desto schneller verschwinden sie wieder.

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The Lins

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Der Blog The Lins verbindet Themen aus den Bereichen Fashion, Lifestyle und Travel mit Design in all seinen Ausprägungen und richtet sich an Männer, die sich in den üblichen deutschen Männer-Zeitschriften nicht wiederfinden. Hinter The Lins stehen Frank Lin, studierter Mode-Designer und für alles Visuelle verantwortlich, und Philipp Kleiber, Historiker und Politikwissenschaftler.